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BVerfG: Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II teilweise Verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 5. November 2019 entschieden, dass Leistungsminderungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten der erwerbsfähigen Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II maximal bis zu 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs möglich sind. Die bisher möglichen Abzüge um 60 Prozent oder 100 Prozent bei Verletzung der Mitwirkungspflicht seien jedoch verfassungswidrig, urteilte das Gericht (Az.:1 BvL 7/16).

Das BVerfG führt zur Begründung aus: Der Gesetzgeber könne die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz binden, solche Leistungen also nur dann gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Er könne erwerbsfähigen Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen und dürfe die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren, indem er vorübergehend staatliche Leistungen entziehe. Aufgrund der dadurch entstehenden außerordentlichen Belastung gölten hierfür allerdings strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers sei hier beschränkt. Je länger die Regelungen in Kraft seien und der Gesetzgeber damit deren Wirkungen fundiert einschätzen könne, desto weniger dürfe er sich allein auf Annahmen stützen. Auch müsse es den Betroffenen möglich sein, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung nach einer Minderung wieder zu erhalten.

Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des BVerfG mit dem am 5. November 2019 verkündeten Urteil zwar die Höhe einer Leistungsminderung von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten nicht beanstandet. Allerdings hat er auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse die Sanktionen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die Minderung nach wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt oder gar zu einem vollständigen Wegfall der Leistungen führt. Mit dem Grundgesetz unvereinbar sind die Sanktionen zudem, soweit der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher Härten zwingend zu mindern ist und soweit für alle Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgegeben wird. Der Senat hat die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben bis zur Neuregelung für weiter anwendbar erklärt.

Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung, für die der Gesetzgeber nun sorgen muss, bleibt nach diesem Urteil die – für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende – Leistungsminderung in Höhe von 30 Prozent nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mit der Maßgabe anwendbar, dass eine Sanktionierung nicht erfolgen muss, wenn dies im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Die gesetzlichen Regelungen zur Leistungsminderung um 60 Prozent sowie zum vollständigen Leistungsentzug (§ 31a Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II) sind bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe anwendbar, dass wegen wiederholter Pflichtverletzung eine Leistungsminderung nicht über 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen darf und von einer Sanktionierung auch hier abgesehen werden kann, wenn dies zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II zur zwingenden dreimonatigen Dauer des Leistungsentzugs ist bis zu einer Neuregelung mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Behörde die Leistung wieder erbringen kann, sobald die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder Leistungsberechtigte sich ernsthaft und nachhaltig bereit erklären, ihren Pflichten nachzukommen.

Quelle/Weitere Informationen: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 74/2019 vom 5. November 2019

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